02.09.2009

Lamas am Similaungletscher

Gletscherüberquerung und Schafabtrieb mit Lamahengsten
Seit 600 Jahren werden Schafe nach alter Tradition von Hirten im Frühjahr aus dem Schnalstal, Südtirol, über den Similaungletscher nach Österreich ins Ötztal getrieben. Dort verbringen die Tiere aufgrund von  Weiderechten aus dem vierzehnten Jahrhundert die Sommermonate; im Herbst werden sie wieder zurück nach Südtirol geführt.

Dieses Jahr jedoch erlebten die Schafe eine Überraschung: Die erwarteten Treiber wurden von vier seltsamen, hochgewachsenen Tieren mit langem Hals und verführerisch großen Augen begleitet. Nach einigen Missverständnissen aufgrund sprachlicher Differenzen (die unbekannten Tiere sprachen einen Südtiroler Dialekt mit sperrigem spanischem Akzent) stellte sich heraus: Bei den fremdartigen Besuchern handelte es sich nicht um schafesgleichen, sondern vier ausgewachsene Lamahengste. Die Überraschung bei den Schafen im Ötztal war groß.

Doch bis es zu diesem tierischen Treffen kommen konnte, mussten zuerst zahlreiche Vorkehrungen getroffen und Mühsale überwunden werden. An dem einzigartigen Projekt nahmen vier Personen teil, drei davon erfahrene Lamazüchter: Gert Ottmann aus Nürnberg, Michael Kirchner aus Kleinaitingen und Walter Mair aus Südtirol. Begleitet wurden sie von Heimo, der sich dem Vorhaben begeistert anschloss. Die Züchter führten vier ihrer ausgewachsenen Zuchthengste, die durch wöchentliches Lamatrekking trainiert waren: Amos de Oro, Mochito de Oro, Belingo de Oro und Luigi de Oro.

Die Tiere, die sich aufgrund angeborener Voraussetzungen und dem regelmäßigen Training optimal für derartige Unternehmungen eignen, wurden mit dem für die Reise Unverzichtbaren beladen, wetterfeste Kleidung, Schlafsack und Proviant durften nicht fehlen. Das gesamte Vorhaben war am Kaserhof auf dem Ritten geplant worden, die Lamas wurden sorgfältig ausgewählt.

Am 19 September war es schließlich soweit: Startpunkt war das Dorf Vernagt im Schnalstal, das idyllisch an einem Stausee auf 1700 Metern Meereshöhe gelegen ist.

Beim Aufbruch herrschte strahlender Sonnenschein, Mensch und Tier befanden sich in optimaler Laune. Der Weg führte über Wiesen vorbei an uralten Bauernhöfen und durch dichten Wald; in der unberührten Natur des Schnalstales ließen sich sogar einige Murmeltiere beobachten.

Der Weg wurde immer felsiger, der Aufstieg beschwerlich und die Vegetation spärlicher, bis schließlich die Baumgrenze überschritten wurde. Bürohengst Heimo, der sich bisher wacker geschlagen hatte, fiel immer weiter zurück und folgte schließlich seinem eigenen Wanderrythmus.

Ab 2.500 Metern zogen Nebelschwaden auf, die Luft war kühl und feucht, der Aufstieg anstrengend; schließlich wurde für eine wohlverdiente Jause mit Südtiroler Speck, Käse und Magdalener Rotwein Halt gemacht. Die Lamas konnten sich mit den alpinen Gräsern und Kräutern sättigen. Erfrischt und gestärkt brach man bald wieder auf, wobei der Weg immer alpiner  wurde- vom ausgetretenen Wanderweg war nur noch ein schmaler Steig übrig geblieben, der sich in steilen Serpentinen durch Fels und Geröll wand. Die senkrechten Felshänge, die neben dem Pfad drohten und die Steigung schienen allerdings mehr den Menschen als den Tieren zu schaffen machen: Die Lamas bewegten sich absolut trittsicher und schwindelfrei und schienen in ihrem Element zu sein.

Schließlich erreichte man den Similaungletscher auf 3.019 Metern Meereshöhe, dort wurde in die Similaunhütte auf einen Gipfeltrunk eingekehrt - natürlich ließ man die Lamas nicht vor der Tür stehen und nahm sie mit in die gute Stube.

Aber noch war das Tagesziel nicht erreicht: Durch zehn Zentimeter hohen Neuschnee ging es weiter über den Similaungletscher, die Landschaft war durchzogen von tiefen Gletscherspalten und eiskalten, kristallklaren Gebirgsbächen. Vor allem aber war es die dünne Luft, die den Wanderern zu schaffen machte und das Vorankommen erschwerte.

Gegen 20 Uhr jedoch erreichte man, nach insgesamt acht Stunden Fußmarsch, das Ziel: Die Martinbuschhütte im Ötztal, wo die Lamas sogleich abgesattelt und versorgt wurden. Nach Fütterung und Tränkung wurden die Tiere in ein umzäuntes Gehege geführt, wo sie sich vom anstrengenden Marsch erholen konnten. Die Wanderer indes waren erschöpft, aber glücklich. Nach einer Stunde stieß auch Heimo wieder zur Truppe, gemeinsam wurde gegessen und sich angeregt über die Abenteuer des erlebten Tages ausgetauscht; doch die Männer waren so erschöpft, dass sie sich zeitig zur wohlverdienten Bettruhe begaben.

Diese endete am nächsten Tag bereits um sechs Uhr, nach ausgiebigem Frühstück wurden die Lamas mit den Habseligkeiten der Hirten, die mit den Schafen schon am Vorabend angelangt waren, beladen; was nicht auf Lamas Rücken passte, wurde auf die eigene Schulter genommen. Die neugeborenen und für den Fußmarsch zu schwachen Schafe wurden ebenfalls in Gepäcktaschen von den Lamas getragen.

Vorneweg trieben die Hirten mit ihren Hunden die Schafe, ihnen folgten die Lamazüchter und deren Tiere.

Der Rückweg führte wiederum durch die schroffe Gletscherlandschaft, vorbei an hochalpinen Dreitausendern und der Ötzifundstelle, durch kalte, dünne Gebirgsluft. Man war bei blauem Himmel und Sonnenschein losgewandert, am Similaungletscher tauchte man wieder in die unverändert dichte Nebelhaube ein. Hier wurde vor der anstehenden Gletscherüberquerung eine Rast eingelegt und eine stärkende Brotzeit zu sich genommen.

Dann zog die Karawane weiter; der Weg war wiederum nur ein schmaler Pfad- abermals bewegten sich die Lamas sicher und souverän über die steilsten Schlüsselstellen hinweg.

Dann erreichten die Wanderer die Similaunhütte, hier wurde das Gepäck auf eine Materialseilbahn verladen und die jungen Schäfchen in Kraxn  (traditionelle Rückentragen aus Weidenrutengeflecht) weitergetragen. Diesmal kehrte man nicht in die Hütte ein, sondern marschierte zügig weiter. Der Weg blieb steil und anstrengend, auf dem schmalen Steig konnten höchstens drei Schafe nebeneinander getrieben werden, um die Gefahr eines Absturzes zu vermeiden. Im Jahr zuvor waren hier zwanzig Tiere tödlich abgestürzt; heuer gelang es, alle 1.500 Schafe wohlbehalten über die kritischen Stellen zu führen.

Zur Mittagszeit wurde auf 2.400 Metern Meereshöhe eine zwanzigminütige Pause eingelegt und der Rest der Südtiroler Spezialitäten verputzt.

Anschließend brach man auf zum Endspurt nach Vernagt, das man um 13.30 Uhr erreichte.

Hier wurde man begeistert von den Einheimischen und den Bewohnern der umliegenden Dörfer empfangen, die sich zum traditionellen Volksfest anlässlich des Schafabriebes zusammengefunden hatten. Während die Schafe bei der sogenannten „Schaftrennung“ ihren Besitzern zurückgegeben wurden, wurden die Lamas von allen Seiten bestaunt und getätschelt.

Die Hirten und Lamatreiber wurden freudig begrüßt, mit Speis und Trank versorgt und neugierig über ihre Abenteuer ausgefragt. Diese erzählten begeistert von ihrer aufregenden Tour, die sie alle als unvergessliche Erfahrung erlebt hatten: Aufgrund der gemeisterten Herausforderung, der Anstrengung, für die sie mit unvergleichlichen Natureindrücken belohnt worden waren und nicht zuletzt aufgrund des erlebten Teamgeistes, der nicht nur zwischen den Wanderern, sondern auch zwischen Tier und Mensch zu spüren war.
Aktualisiert am 30.04.2025 um 09:20 Uhr
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